Systems Thinking
Systeme verstehen

Systeme verstehen

Wir benutzen den Begriff "System" ganz selbstverständlich: Ökosystem, Wirtschaftssystem, IT-System .... Aber was ist das eigentlich? Hier erfährst du in Kurzform, wie du Systeme besser verstehen kannst.  Gute Videos und Literatur findest du hier. Wenn du System Thinking praktisch anwenden willst, empfehle ich dir die Teilnahme an einem Intensiv-Seminar.


Was sind Systeme?

Systeme gibt es überall:  In der natürlichen Umwelt, in der Gesellschaft, in der Technik. Unser Körper ist ein System ebenso wie unsere Familie und unsere Psyche. Wir leben in Systemen. Und wir sind so an sie gewöhnt, dass wir meist gar nicht darüber nachdenken. Aber manchmal funktioniert eines dieser Systeme nicht mehr so reibungslos, etwa wenn das natürliche Gleichwicht gestört wird, wenn es Probleme in der Familie oder im Job gibt oder wenn du krank wirst. Die offensichtlichen Symptome sind aber nur die Spitze des Eisbergs. Die wahren Ursachen liegen fast immer unter der sichtbaren Oberfläche. Wenn du verstehst, wie Systeme funktionieren, kannst du sie entdecken. U


Definition: Ein System ist mehr als die Summe seiner Teile! Ein System ist eine Menge von miteinander verknüpften Elementen, deren Zusammenspiel so organisiert ist, dass damit ein bestimmtes Ziel erreicht wird.  

Beispiele: Ein Mensch ist ein sehr komplexes biologisches System. Seine Elemente sind Zellen, die sich über Teilsysteme wie Organe, Gliedmaßen und Gehirn zu einem Organismus verbinden. Verknüpft werden sie durch zahllose elektrische und biochemische Informationen. Menschen bilden als Familie, Stamm, Verein, Partei, Volk, Staat etc. viele neue soziale und kulturelle Systeme, die durch gemeinsame Sprache, Gebräuche, Gesetze und Werte verbunden werden. Es gibt sehr viele unterschiedliche Annahmen über das Ziel des Systems Mensch: Verbreitung der Gene, sich die Welt untertan machen, Gottes Willen erfüllen, Wissen erlangen, Kultur schaffen ….

Auch unser Bewusstsein, unser Denken ist ein System. Es folgt im Grunde den gleichen Gesetzen wie die Außenwelt. Es basiert auf den physiologischen Elementen unseres Nervensystems. Es folgt bestimmten Regeln: Das sind einerseits unsere intuitiven Annahmen darüber, wie wir selbst, unsere Mitmenschen und die Welt um uns herum funktionieren. Und andererseits die automatischen Regeln unseres Systems 1. Es organisiert sich ständig selbst, indem es Informationen aufnimmt, filtert, verarbeitet, speichert. Es verfolgt dabei das Ziel, sich selbst aufrechtzuerhalten und strebt darüber hinaus nach Sicherheit, Befriedigung, Sinn oder oder oder ....

Eine Organisation oder eine Firma ist ein gesellschaftliches System. Elemente sind MitarbeiterInnen, Geräte, Räume, Wissen, Fähigkeiten, Kapital, Rechte, Kontakte etc. Verküpft werden sie durch explizite Regeln (Prozessbeschreibungen, Anweisungen), und implizite Regeln (z.B. "Wie muss ich mich  verhalten, um Erfolg zu haben?"), den Austausch von Leistungen (Arbeit gegen Geld) und manchmal auch durch gemeinsame Ideale und Werte.  Ziele können sein, eine bestimmte Leistung zu erbringen, Gewinne zu erwirtschaften, das Leben der Menschen zu verbessern etc. Mitarbeiter sehen die Ziele des Systems Firma meist ganz anders (sie soll ihre Arbeitsplätze sichern) als die Aktionäre (sie soll  Shareholder Value erzeugen).  


Wie funktionieren Systeme?

Systeme sind Kreisläufe. Das Interessante an einem System sind nicht die Einzelteile, sondern die Verbindungen zwischen den einzelnen Elementen. In einem System beeinflusst jedes Element auch alle anderen direkt oder indirekt verbundenen Elemente. Werden die Verbindungen unterbrochen, funktioniert das System nicht mehr. Beispiel: Beim Impulskugel-Spiel geht es nicht um die Elemente (Kugeln und Drähte), sondern um die Verbindung zwischen ihnen: die Energie, die von Kugel  zu Kugel wandert und sie in Bewegung versetzt. Diese Energie wandert durch das ganze System und beeinflusst das Verhalten aller Elemente, bis sie wieder am Ausgangspunkt anlangt und ein weiterer Kreislauf beginnt. Man nennt das auch Feedback-Schleifen oder Loops. 


Es gibt 2 Arten von Kreisläufen:

Balancierende Loops stabilisieren ein System. Eine Aktion an einer Stelle im System erzeugt an anderer Stelle  eine oder mehrere entgegengesetzte Reaktion, so dass das System immer wieder zu seinem Zielzustand zurückkehrt. Beispiel: Dein Giro-Konto. Dein Ziel sollte es sein, den Kontostand innerhalb bestimmter Grenzen stabil zu halten und nicht dauerhaft ins Minus zu rutschen.  Dein Verhalten (Ausgaben) und dein Kontostand stehen in Beziehung zueinander und bilden einen balancierenden Loop . Gibst du mehr aus als du hast, solltest du dein Verhalten ändern und entweder weniger ausgeben oder mehr einnehmen. Wenn du statt dessen lieber auf Pump lebst, verwandelt sich  der balancierende schnell in einen fiesen selbstverstärkenden Loop (Teufelskreis).

Selbstverstärkende Loops sorgen dafür, dass ein System wachsen kann, sie machen es sehr dynamisch, können aber auch seine Existenz gefährden. Eine Aktion erzeugt eine gleichgerichtete Reaktion, beide verstärken sich gegenseitig immer weiter. Beispiel: Überziehungszinsen. Wenn du dein Konto dauerhaft überziehst, musst du immer höhere Überziehungszinsen zahlen und es wird von Monat zu Monat  schwerer,  von den Schulden runterzukommen. Das geht nur, indem du dein Verhalten änderst (siehe oben). Diese Loops arbeiten aber auch in die Gegenrichtung: Wenn du Geld anlegst, bekommst du (theoretisch) Zinsen. Damit wird dein Kapital größer, du kannst mehr anlegen, dein Kapital wächst schneller (Zinseszins-Effekt). Je länger eine selbstverstärkende Rückkopplung wirkt, desto größer wird ihr Effekt. 

Berücktigt sind die  "Teufelskreise":  Loops mit einer negativen Wachstumsdynamik, der man immer schwerer entkommt, je länger sie besteht, z.B. der Teufelskreis aus sozialem Umfeld, geringer Bildung und Armut. Positive Wachstumskreise sind als  "Matthäus-Effekt" bekannt: Wer ohnehin schon Erfolg hat, dem wird noch mehr Erfolg zuteil, ohne viel dazu tun zu müssen.


Wie verhalten sich Systeme?

Jedes System wird von Zielen gesteuert und hat ein typisches Verhalten. Ein Ökosystem sorgt für eine dynamische Balance zwischen Planzen, Lebewesen und den natürlichen Ressourcen. Unser Wirtschaftssystem verwandelt Rohstoffe in Produkte und diese in Kapital. Unser Finanzsystem lenkt das Kapital dorthin, wo es die höchste Rendite erzielen soll. Unser Bildungssystem unterstützt Menschen dabei, Wissen und Fähigkeiten zu erwerben.

Doch oft funktionieren die von Menschen erzeugten Systeme nicht so reibungslos, wie wir das gerne hätten. Volkswirtschaften geraten in Schuldenkrisen, Finanzmärkte brechen zusammen, Bildungssysteme wirken überfordert. Dieses unerwünschte Verhalten von Systemen ist kein zufälliges Ereignis, oder die "Schuld" einzelner Akteure, sondern es ist eine logische Folge der Struktur und Ziele des Systems. 

Wenn wir in natürlich gewachsene Systeme wie Ökosysteme oder Gesellschaftssysteme eingreifen, ruft das oft  negative Effekte hervor (Klimawandel, Artensterben, Armut, Flucht etc.). Selbst gut gemeinte Interventionen können Schaden anrichten, wenn wir solche komplexen Systeme nicht richtig verstehen und die indirekten Folgen unseres Eingreifens nicht überblicken.

Technische Systeme oder standardisierte Abläufe in Betrieben oder Verwaltungen funktionieren gut, solange alles nach Plan, Vorschrift oder Gewohnheit abläuft. Stabile Systeme pendeln sich in einem Gleichgewichtszustand ein, wo sie funktionieren. Wenn man aber die eingespielten Abläufe verändern will, kann es passieren, dass plötzlich nichts mehr richtig funktioniert. Komplexe, ökologische oder soziale Systeme,  z.B. freie Märkte oder Gesellschaften sind dagegen von vorneherein  schwer berechenbar.  Ein solches komplexes System kann man nicht einfach zerlegen, reorganisieren und wieder neu zusammenbauen; man kann es auch nicht vereinfachen. Ist die Komplexität zerstört, ist auch das System zerstört. Eingriffe in komplexe Systeme haben fast immer unerwartete Neben- und Fernwirkungen, weil wir selten alle Zusammenhänge kennen und ohne es zu wollen unerwartete Systemdynamiken erzeugen.


Wie verstehst du ein System?

Versetze dich in die Situation auf dem Bild. Du steckst mitten in der Rush Hour. Vielleicht bist du jetzt gestresst, oder du bahnst dir routiniert deinen Weg durch das Getümmel. Als Beteiligter folgst du einfach deinem gewohnten Verhaltensmuster. Das funktioniert ganz gut, solange du dieses System nicht verstehen, steuern oder verändern willst. Dazu musst du vom Beteiligten zum Beobachter werden. Verlasse die Ebene des Geschehens, fahre in Gedanken einige Etagen höher und wechsle in die Vogel-Perspektive. Jetzt bestimmst du die Struktur des Systems. Dazu sind die folgenden 6 Fragen hilfreich.

1. Was sind die Elemente? Das sind die offensichtlichen Bestandteile eines Systems. Im Verkehr sind das Autos, Fußgänger, Straßen, Ampeln etc. Bei einer Organisation können das auch immaterielle Dinge wie Wissen oder Fähigkeiten sein. Tipp: Beschränke dich auf die Elemente, die für die Situation wichtig sind.

2. Welche Verbindungen bestehen zwischen den Elementen? In einem System sind diese Teile zu einem sinnvollen Ganzen verknüpft. Die Verbindungen sind für das Verhalten des Systems viel wichtiger als die Elemente. Manche Verbindungen verstärken sich gegenseitig, andere neutralisieren sich. Im Verkehr sind das die Verkehrsregeln, aber auch das tatsächliche Verhalten. Tipp:   Verhalten folgt meist ungeschriebenen Gesetzen. Frage dich z.B., warum offizielle Regeln umgangen werden und welche inoffiziellen Regeln wichtig sind.

3. Welches Ziel verfolgt das System? Systeme existieren, um bestimmte Zwecke zu erfüllen. Ein Verkehrssystem soll den Verkehrsfluss organisieren. Aber Achtung: Hinter deiner Zieldefinition steht immer eine Grundannahme, zum Beispiel: Es funktioniert umso besser, je mehr Regeln es gibt, die alle genau befolgt werden. Oder: Alle organisieren sich selbst, auch ohne Regeln. Oder: Freie Fahrt für freie Bürger.

4. Welche Grundannahmen hast du selbst? Jede Erklärung ist ein Spiegelbild deiner inneren Überzeugungen. Unsere eigenen Grundannahmen erscheinen uns allgemeingültig und selbstverständlich, aber sie können von Mensch zu Mensch oder von Kultur zu Kultur sehr unterschiedlich sein.

5. Welche Grundannahmen haben die anderen Beteiligten? Unterschiedliche mentale Modelle sind die Quelle zahlloser Missverständnisse und Krisen. Sieh die Situation auch durch die Augen der anderen Beteiligten, tauscht euch aus. Wenn du in einem System intervenieren oder Änderungen vornehmen willst, geht das nur, wenn du die Perspektiven der anderen Beteiligten verstehst und ihre Interessen berücksichtigst.

6. Wie verhält sich das System? Verhält sich das System immer gleich? Hat es sein Verhalten geändert? Wie wird es sich wohl in in Zukunft verhalten? Gibt es ähnliche Systeme, die sich ganz anders verhalten? Wenn du eine Veränderung planst: Wie soll sich das System in Zukunft verhalten? Wo kann man eingreifen? Wie wirken sich diese Interventionen auf das Verhalten aus?


Die Sprache der Systeme 

Es gibt eine eigene „Sprache“, um Systeme zu beschreiben. Sie wurde bereits in den 1960er Jahren von Computer-Pionier Jay Forrester am MIT (Massachusetts Institute of Technology) entwickelt und wird zur Simulation unterschiedlichster Systeme am Computer verwendet. Um Systeme besser zu verstehen,  musst du  aber gar nicht viel Zeit und Mühe investieren. Fürs Erste reicht ein Stift und ein Blatt Papier oder ein Flip-Chart aus. Es ist sehr hilfreich, dafür die Systemsprache zu nutzen, denn die ist ganz einfach und erlaubt es dir, ein System präzise zu beschreiben.  


Der wichtigste Baustein der Systemsprache ist die Darstellung der Zusammenhänge zwischen den Dingen. Dazu verwendet man Pfeile. Sie können gleichgerichtet sein (wenn DIES zu- oder abnimmt, nimmt auch DAS zu oder ab), dann sind diese Pfeile mit einem Pluszeichen markiert.  Oder der Zusammenhang ist gegengerichtet (wenn DAS zunimmt, nimmt JENES ab oder umgekehrt),  dann trägt der Pfeil ein Minus. Entscheidend ist, dass es bei Systemen immer um Kreisläufe geht, in denen sich alle Elemente gegenseitig beeinflussen können. DIES beeinflusst DAS beeinflusst JENES beeinflusst DIES …. 

Durch Kombination mehrerer Loops bildet man ein größeres System ab. Diese Diagramme können sehr komplex werden, wenn man damit alle Elemente und Wechselwirkungen innerhalb eines Systems aufzeigen will. Allerdings ist dies immer nur ein Ausschnitt aus der Wirklichkeit. Ich konzentriere mich in meiner Arbeit auf  einige grundlegende dynamische Muster, die für den Alltag extrem hilfreich sind und die im Kapitel "Klüger entscheiden"  beschrieben werden.